UNIQUE - Magazin der ÖH Uni Wien 1/08

Man muss der Sprache auf den Mund kucken!

 

Julia Reichert, Prinzipalin des Wiener Kabinetttheaters, über die Kunst des Puppenspiels, die Arbeit am Text und die Technik, unbelebte Objekte zum Leben zu erwecken.

Interview: Barbara Eder


Begonnen hat alles mit einem Geschenk: Vor mittlerweile mehr als 18 Jahren versammelte sich der Bekanntenkreis von Julia Reichert und Christoph Widauer in einem aufgelassenen Pfarrkindergarten in Graz, um einer vorweihnachtlichen Theateraufführung der besonderen Art beizuwohnen: Zu sehen waren neben tabelaux vivants mit Klavierbegleitung auch einige Minidramen, deren ProtagonistInnen allesamt dem breit gefächerten Repertoire des Figuren- und Objekttheaters entstammten. Das Gründungsmoment des später nach Wien übersiedelten Kabinetttheaters datiert auf diesen ersten Abend unter FreundInnen, worunter sich auch die späteren StückeschreiberInnen des Kabinetttheaters befanden. Im Publikum saßen AutorInnen aus dem Umfeld des Grazer Forum Stadtpark wie Wolfgang Bauer und Gert Jonke, die Wiens beeindruckendste Figuren- und Objekttheaterbühne wenig später mit Minidramen beliefern sollten.

Mit Für Elise liegt nun das erste Stück vor, für dessen Text, Inszenierung, Ausstattung und Spiel Julia Reichert gleichermaßen verantwortlich zeichnet. Es ist ein zynischer Monolog einer gealterten Klavierspielerin, deren Schülerin mit dem Namen Elise gleichsam a-präsent ist. Die Anklänge, dass es sich beim didaktisch präparierten Objekt der Pädagogin um dieselbe Person handeln könnte, die im Hintergrund ihre Fäden zieht, sind zahlreich. Über das Verhältnis zwischen Puppe und Spielerin und das merkwürdige Eigenleben das Erstere in Bezug zu Letzterer entwickeln kann, hat Barbara Eder Julia Reichert im Rahmen eines Unique-Interviews befragt.

Wo bloß ist Elise geblieben? Der Eindruck, dass der Hauptfigur Ihres neuen Stücks die Duettpartnerin abhanden gekommen ist, ist trügerisch…

Im Stück Für Elise geht es nicht nur um den Themenkomplex des Alterns, sondern auch um das zwanghafte Verhältnis zwischen einem Spieler und seiner Puppe. Anhand eines ver-worrenen Duetts, das sich am Klavier abspielt, wollte ich das Puppenspiel an sich thematisieren: Das ganze Stück über behauptet die Puppe, dass ihre Duettpartnerin nicht vor-handen wäre; in Wirklichkeit ist diese jedoch unmittelbar anwesend. Zwar spielt sich die Puppe in den Vordergrund und behauptet von sich, ein Eigenleben zu haben; letzten Endes ist aber allen Beteiligten klar, dass hinter ihr ein Mensch steht, der sie bewegt, es sozusagen immer einer Duettpartnerin bedarf, um diesen Fetzen Stoff zum Leben zu erwecken. Der Puppe gelingt es nie, die Präsenz ihrer Spielerin vollständig auszulöschen. Selbst hinter der im Kasperltheater gebäuchlichen Spielleiste sieht man die Person immer, die die Figuren bewegt. Man spürt, dass sich dahinter ein Mensch befindet. Diese direkte Abhängigkeit zu thematisieren und zu theatralisieren halte ich für einen ganz wichtigen Aspekt.


Was fasziniert Sie an der Darstellung dieses Abhängigkeitsverhältnisses?

Heute ist es fast schon modern geworden, das Verhältnis zwischen Puppe und Spieler zu thematisieren. Ihre historischen Wurzeln hat diese Thematik in der Romantik. Bereits Ludwig Tieck hat den Dialog zwischen Puppe und Spieler in seine Minidramen miteinbezogen. Dort sagt die Puppe zu ihrem Spieler: "Ja! Du kannst meine Seele bekommen, aber ich bin ja nur aus Holz." Durch derartige Anspielungen entzaubert man das Spiel nicht, sondern man lenkt die Aufmerksamkeit der ZuseherInnen noch einmal auf eine andere Ebene. Das birgt zwar die Gefahr in sich, dass man sich zu sehr in den Vordergrund spielt; da ist die Spielerin jedoch immer, auch wenn sich die ZuseherInnen nicht in jedem Moment des Stücks dieser Tatsache bewusst sind.

Niemand stirbt besser - so lautet der Titel des anlässlich des fünfzehnjährigen Jubiläums des Kabinetttheaters bei Sonderzahl erschienenen Sammelbandes. Worauf spielt dieser Titel an?

Im Vergleich zu Schauspielern können Puppen wahnsinnig gut sterben - darauf bezieht sich der Titel des Buches. Wenn man die Puppe auslässt, ist sie tatsächlich tot. Es ist ähnlich wie mit der zerbrochenen Tasse, die am Cover des Buches abgebildet ist. Sie fällt herunter und das war's! Wenn Puppen während des Stücks erstochen werden und sich am Ende verbeugen müssen, ist das natürlich blöd… (lacht)

Puppen sterben zu lassen ist anscheinend ein relativ simpler Vorgang. Wie aber erweckt man diese zum Leben?

Das Spielen von Puppen ist bis zu einem bestimmten Grad eine sehr technische Angelegen-heit. Die Mechanisierung von Bewegungen ist Voraussetzung dafür, dass das Spiel der Puppe lebendig wirkt. Es sind keine Bewegungen, die aus dem eigenen Empfinden in die Puppe übergehen; Bewegungsabläufe werden in einzelne Segmente unterteilt und Schritt für Schritt eingeübt. Es sind künstliche Abläufe auf hohem Abstraktionsniveau. Die Puppe ist nun mal ein Objekt, sie hat zwangsläufig etwas Roboterartiges.


Julia Reichert, wie kommen Ihre Puppen zu ihrem Aussehen?

Die Art und Weise, wie eine Puppe in technischer Hinsicht funktioniert, nimmt vorweg, welche Rolle sie auf der Bühne spielen wird. Ob ich nun eine Klappmaulpuppe, eine Marionette, eine Stabpuppe oder eine andere Art von Objekt herstelle, ist abhängig von der metaphorischen Ebene. Die Form sagt bereits sehr viel über die Figur aus. Marionetten eignen sich beispielsweise hervorragend dafür, zarte, wehrlose Opfer darzustellen, die man am liebsten von den Fäden schneiden würde. Täterfiguren hingegen haben etwas sehr boden-ständiges an sich; oft sind sie eng mit dem Körper der Spielerin verbunden, deren Hände zu denen der Puppe werden. Bevor ich eine Puppe baue, sehe ich mir zuerst die metaphorische Ebene an: Ist das ein Fetzen, ist das ein kleiner Mensch oder ein Automat, will ich, dass die Figur wächst oder ist sie ein Teil einer anderen Figur? Man muss der Sprache auf den Mund kucken und sie Wort für Wort in Bilder umsetzen.

Betrachten Sie das Marionettentheater als eine subversive Form?

Es ist reizvoll, mithilfe der Figuren an Themen zu stoßen, die einem zu nahe kämen, wenn sie ein Mensch aussprechen würde. Da kann man Sachen sagen… es sind doch ohnedies nur Puppen! (lacht)