Cornelia Niedermeier, 1.7.2007
Drill ist Dialog für die Stimme
Mit "Für Elise" tritt Kabinetttheater-Prinzipalin Julia Reichert auch als Autorin auf
Wien – Buchhändlerin in München, Köchin bei Oswald Wiener in Kanada, Puppengestalterin für die Messestände des Hanser Verlags – Julia Reicherts Lebenslauf entwickelt sich geradlinig mäandernd aus ihren Neigungen. Das Kabinetttheater, Österreichs herausragendste Puppentheaterbühne, entstand vor fünfzehn Jahren als Weihnachtsgeschenk – ein Abend für Freunde, zu dem Julia Reichert mit Christopher Widauer lud. Freunde wie Gerhard Rühm, H.C. Artmann, Olga Neuwirth, Markus Hinterhäuser oder Markus Schirmer.
Ein Großteil des Programms dieser denkwürdigen Nacht zählt noch immer zum Repertoire der Bühne. Heute Abend aber wird Julia Reichert einen weiteren Rösslsprung auf ihrem künstlerischen Weg reiten, einen Dreisprung, genau genommen: Erstmals tritt sie als Autorin an die Öffentlichkeit, erstmals als Darstellerin – und erstmals als Puppenspielerin vor den Vorhang.
Für Elise. Dialog für eine Stimme: Ein Titel, der allen kindlich am Klavier Traumatisierten doppelt im Ohr klingt: "Dieses Musikstück allein ist eine Metapher für Drill", so Julia Reichert. "Es beginnt scheinbar leicht – aber ab der zweiten Seite wird die ,bagatelle‘, wie es so schön heißt, höchst virtuos. Das schaffen die meisten nicht mehr." Ein ewiger Albtraum – wie schon das Instrument an sich: "Der Flügel steht für ein ganz bestimmtes Milieu. Das Großbürgertum. Er wurde im 19. Jahrhundert zur Perfektion gebracht und ist ein solches Monster, dass es sich allein von der Größe her nur wenige leisten können. Auf dem Instrument steht ja gewissermaßen geschrieben: ‚Hier wird nicht mehr umgezogen. Hier stirbt man.‘ Und die bürgerlichen Kinder wurden an das Monster mit seiner vorfabrizierten Intonation getrimmt, das den Vorteil hat, dass es bei Anfängern besser kingt als die Geige, deren Töne man selbst erzeugen muss." Wo aber Drill regiert, wo Machtverhältnisse errichtet werden, existiert kein Dialog – oder nur scheinbar: Als Behauptung der Mächtigen.
"Drill ist Dialog für eine Stimme." Ob im Unterricht, in Arbeitsverhältnissen oder in der Familie. Der Redende "braucht den anderen, um ununterbrochen von sich zu reden. Das ist eine Art von Missbrauch."
Eine alternde Klaviervirtuosin von erlesener Bosheit erschuf also Julia Reichert in Worten und – gemeinsam mit der Kostümbildnerin Burgis Paier – in Stoff. Mit ihrer stummen Umblättererin thront sie am Instrument, schwadroniert, demütigt und triumphiert in der reinen Bosheit der Puppe. "Ohne Puppe würde es unerträglich realistisch. Mit der Puppe erhält es von selbst Ironie und Distanz. Sie ist ein Doppelwesen, das Leben behauptet. Gleichzeitig nichts als Stoff. Die jederzeit ironisch antwortet ‚Sie können mir jetzt ruhig die Seele absprechen. Ich habe keine. Außerdem bin ich im Gegensatz zu Ihnen unsterblich.‘"
Nähe am Klavier
Ausgangspunkt des Abends "war das Bild der Nähe von zwei Menschen am Klavier". Einer Nähe, die alles andere als Harmonie erfüllt. "Pianist und Umblätterer – eine klassische Abhängigkeitsstruktur. Da ist wer mit Geld und Macht – er kauft sich jemand, der für ihn arbeitet. Und missbraucht ihn psychisch. Lässt ihn nicht groß werden. Man muss am Arbeitsplatz zusammenkleben – man zwingt den anderen also zu körperlicher Nähe. Und gleichzeitig zeigt man, dass einem diese Nähe körperlich unangenehm ist.
Da sitzt also jemand, der selbst gut spielen kann – er darf nur für den großen Künstler umblättern. Und kriegt noch dessen Ekel zu spüren. Eine schreckliche Arbeitssituation ..."
"Puppenspiel ist immer ein Duell zwischen Puppe und Mensch. Einerseits bist du als Puppenspieler Gott. Du erschaffst die Kreatur. Nur: Sie macht auch etwas mit dir": Julia Reichert. |