La terribile e spaventosa storia del principe di Venosa e della bella Maria
Oper für ein Puppenspiel von Salvatore Sciarrino.
Text: Alexandra Millner, Julia Reichert
Marino Formenti:
Salvatore Sciarrino
In Palermo geboren, hat Salvatore Sciarrino nach eigener Erzählung schon als Kind das sizilianische Marionettentheater, die Opera dei Pupi, entdeckt. Für die Kinder aus Palermo ein magischer, beinahe verruchter Ort, wo man das Rauchen lernte, wofür man die Schule schwänzte.
Auf den ersten Blick könnte es verwundern, dass jemand wie er, der immer auf der Suche nach einer äußerst feinsinnigen, introvertierten, erhabenen Musik war - einer Musik, die er immer von der Vulgarität des Alltags und des Betriebes fern gehalten hat - überhaupt für diese populäre Gattung schreibt. Sciarrinos Kompositionen zeugen von einer unglaublich konsequenten Suche nach Reinheit; er spricht selbst von einer "Ökologie des Hörens" und betrachtet die Klassik als sein großes Vorbild, insbesondere die Musik von Mozart, den er für den Komponisten der "reinsten" Musik hält. Andererseits war gerade Mozart der Erste, der die Posse mit der so genannten "hohen Kunst" verschmolz … Einen anderen großen Vorreiter hatte Sciarrino übrigens auch in dem italienischen Intellektuellen und Künstler Pier Paolo Pasolini, der den Volkskomiker Totò in seinem Film über das Marionettentheater "Che Cosa Sono le Nuvole?" auftreten ließ.
Sciarrino stellt sich mit dem Stück "Terribile e spaventosa storia del Principe di Venosa e della bella Maria" in die ruhmreiche Reihe der Künstler, die die alchemische Wechselwirkung zwischen Ernst und Klamauk, zwischen den Abgründen der Seele und der ironischen Distanz gesucht und geliebt haben. Eine Wechselwirkung, die eine beinahe kathartische Funktion erfüllt, die uns - unter anderem - brutal mit unserer Klischeehaftigkeit konfrontiert und uns schließlich der "Wahrheit" noch ein Stück näher bringt. So kommen in dieser Musik neben wundervoll introvertierten, vergeistigten Musiknummern auch fetzige Scarlatti-Bearbeitungen, eine Quasi-Punkrock-Nummer und ganz zum Schluss ein - frei nachempfundenes - sizilianisches Volkslied "Dei Pupi" vor - eine Musik, die nach Zigarettenrauch, Schweiß, pani c'a meusa*, Wein und all den anderen Gerüchen der Opera dei Pupi - des Lebens, möchte man sagen - riecht.
* pani c'a meusa = die typisch sizilianischen,irrsinnig deftigen, mit Milz belegten Brote
Julia Reichert
"Piangete, Napoli mesta, in bruno manto…" *
Einer der zahlreichen Bälle bei Hof anlässlich eines Tourniers, eines Banketts oder anderen Festivitäten. Neapel, Palazzo San Severo, um 1580. Die Tanzpaare formieren sich mit dem Zeichen des Kapellmeisters, der sogleich mit einer Gagliarda** den Reigen eröffnen wird, in streng hierarchischer Ordnung: an den Seitenwänden des Saales in genau abgezirkeltem Abstand die Damen rechts seitwärts innen, die Herren schräg außen an ihrer Seite. Zum Auftakt vier Schritte vor, zuerst die beiden "Vorzeigepaare" von rechts und links außen in die Mitte zur "Begegnung" tänzelnd, hüpfend eher, dann verharrend, Kopfnicken, stumme Begrüßungsgeste, drei Takte aussetzen, das Ganze zurück in gleichem Takt und Tempo.
Stolze Haltung. Die Herren können nicht wirklich anders, die Braguette (Schamkapsel) protzt ihnen zwischen den dünn wirkenden Oberschenkeln, wie übergroße Hoden grenzen die kurzen Pumphosen die Bewegungen ein. Darüber der Gänse- oder Storchenbauch, spitz nach vorne gewölbt, einem Panzer gleich. Man liebte falsche Bäuche: "Der Schneider näht, was nicht auf dem Teller war." Über allem zwingt der steife, ausladende Kragen zu angestrengter distanzierter Kühle. Miteinander Sprechen ist im Reglement nicht vorgesehen.
Schritt seitwärts, immer synchron von zwei Paaren eingeleitet. Double links und simple tipp und eins, zwei, drei … Wechselseitiges Umkreisen. Die anderen Paare wiederholen sukzessive die Formationen. Stehen. Fortfahren. Einem Muster folgen. Kein Schritt "daneben" möglich. Jeder Knopf am Wams, jede Rüsche am Mieder ein Zeichen, die Farbe einer angesteckten Blume, ein Haarband - kodierte Botschaften.
Im abgesteckten Reglement kann Anarchisches sich ungesehen ausbreiten: Zwei, die nicht füreinander bestimmt waren, tanzen mit, sie haben mehr als ein Auge aufeinander geworfen. Irgendwann, die Regeln der Gagliarda legen es nahe, ein rhythmischer Schritt nach außen, zurück, seitwärts, retour nach innen - ein unbemerktes Umrunden der Paare und schon berühren die Fingerspitzen des Partners einer anderen Tänzerin zart die des lang ersehnten Gegenübers. Über die steifen Krägen funkeln die Blicke, uneinsehbar für die Umstehenden. Ohne Sprache werden Vereinbarungen getroffen, die zu einem Wiedersehen abseits der Zeremonie führen sollen.
Ein Schritt heraus aus den lauten Feierlichkeiten des Balles, eine Verabredung im "Giardino", in dem Sciarrinos Musik als zitterndes Echo des "Ballo" klingt, gebrochen, zerrissen, manchmal wie vom Wind, der sich in den Kronen der Pinien fängt. Im Schutze dieser Musik werden die ersten Küsse getauscht.
Einige Jahre und viele Feste und Bälle später folgt das Unvorstellbare und doch vielleicht Vorhersehbare, die Tötung im Affekt. "Crudele omicida" - der Rasende gerät in einen Blutrausch, er kann nicht glauben, dass Donna Maria tot ist, "diese Hure!", wie er mehrfach schreit und wieder und wieder zusticht. "Assassini d'amore" - heftiger Paukenschlag, "Immagine ossesso", die pure Vorstellung einer Leidenschaft, die nicht ihm, dem Fürsten von Venosa gilt, macht ihn blind und rasend. Seine Frau, deren Schönheit und Leidenschaftlichkeit von Neapel bis Perugia besungen wird, teilt er mit einem anderen, teilt, was allein ihm zusteht! Oder sieht er nun zum ersten Mal hin, aufgehetzt von den Moralvorstellungen der Zeit und ihrer Hüter, angestachelt vom eigenen Onkel, der, da dessen eigenes Werben nicht von der Schönen erhört wird, nun das Liebespaar belauscht, bespitzelt und schließlich dem gehörnten Fürsten die so genannte Wahrheit hinterbringt? Sieht er plötzlich das, wovor er - vertieft ins perfekt beherrschte Lautenspiel oder die Verse seines Freundes Torquato Tasso - lange Zeit weggesehen hat? Löst er nun seine gesellschaftliche Stellung, seinen Stand ein?
"Ich kann nicht glauben, dass sie tot ist!", schreit es heftig aus ihm heraus, dem Mörder ›im Affekt‹, wieder und wieder sticht er auf Donna Maria ein, ihren Geliebten hat er bereits tödlich verletzt.
Während die Dienerschaft bei Gericht einvernommen wird, ist der Mörder längst in seinem Schloss in Gesualdo untergetaucht. Er lässt den Wald um das Schloss auf dem Hügel abholzen, um Feinde rechtzeitig sichten zu können. Es geht sogar das Gerücht, er habe den Wald in mühevoller Arbeit drei Jahre lang eigenhändig abgeholzt. Doch schon das Wort "eigenhändig" erzeugt gewisse Zweifel. Verbrieft sind hingegen seine Bußetaten, die Stiftung eines Klosters, Hunderte von Seelenmessen, die er lesen lässt, um der Vorhölle zu entgehen.
"Gesualdo di Venosa oggi è stato perdonato" - sein "jüngstes" Glück besteht in Scarrinos Musik, die ihm großzügige Absolution erteilt. Die "Poveri angeli" winken mit ihren Fügeln, Maria Magdalena bittet in aufreizender Haltung einen mild winkenden Jesus um Absolution für einen weiteren Sünder. Gesualdo entkommt dem Fegefeuer, das neben ihm lodert und aus dem ein Engel einen weiteren armen Sünder zu retten versucht.
Dem Fürsten von Venosa ist vergeben worden.
Seine Musik hat ihm Unsterblichkeit verliehen
* "Weine, betrübtes Neapel, schwarzgewandet …"
Zeile eines Sonetts von Torquato Tasso anlässlich des Todes der Donna Maria
** Gagliarda: historischer höfischer Tanz